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Zeitzeugengespräch

Der 10. und 11. Jahrgang des Immanuel-Kant-Gymnasiums Lachendorf hatten am 24 April 2025 das Privileg mit einem Zeitzeugen des Holocaust zu reden.


Der mittlerweile 90-jährige Michael Gelber, der 1935 in Ede bei Arnheim in den Niederlanden geboren wurde, erzählte uns von seiner Kindheit. Der damals erst achtjährige Junge wuchs in einem deutsch-niederländischen Haushalt in der Nähe von Rotterdam auf. Die zunehmenden antijüdischen Verordnungen verboten Michael Gelber und seinem Bruder, die Schule zu besuchen, weshalb sie zu Hause von ihrer Mutter unterrichtet wurden. Trotz positiver Nachrichten der Alliierten und der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, wurde die Familie im Juli 1943 verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden transportiert. Vor Ort bekam die Familie Palästina-Zertifikate, deren Inhaber dann nach Bergen-Belsen in Deutschland mussten. Am 11.01.1944 startete der Transport im Personenzug ins Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo die Familie einen Tag später ankam. Dazu erzählte Herr Gelber, dass er bei der Ankunft auf der Rampe den Eindruck bekam, dass die SS-Männer und die Hunde in Bergen Belsen anders waren als in Westerbork. Michael Gelber: „Das war ganz klarer Menschenhandel“. Da die Familie zu den sogenannten „Austauschjuden“ zählte, blieb sie in Bergen-Belsen von den härtesten Schikanen zunächst verschont. Sie lebten in einer gesonderten Baracke und die Familie konnte zusammenbleiben. Herr Gelber erzählte, dass sie ihre Kleidung behalten durften und nicht kahlgeschoren wurden. Außerdem bekam er nicht wie die anderen Häftlinge eine Nummer auf den rechten Arm tätowiert, da diese nach dem Austausch im Ausland die nationalsozialistischen Verbrechen verraten hätten. Michael Gelber erlebte im Konzentrationslager Bergen-Belsen seinen 9. Geburtstag. Ab Herbst 1944 wurde Bergen-Belsen vom Austauschlager zum Auffanglager für Räumungstransporte aus frontnahen Konzentrationslagern. Die Lebensstandards änderten sich auch für die zunächst „bevorzugten“ Austauschjuden. Täglich starben viele Menschen, unter ihnen auch Freunde der Familie. Michael Gelber musste das Grauen als kleiner Junge mit ansehen und sah vor Ort seine erste Leiche. Der Zug, in den Familie Gelber, auf Befehl hin, vier Tage vor der Befreiung von Bergen-belsen verfrachtet wurde, war 13 Tage unter schlechten Umständen unterwegs und wurde dann in Tröbitz (zwischen Leipzig und Berlin) von russischen Truppen gestoppt und die Insassen wurden befreit. Drei Monate nach der Befreiung im Jahr 1945 kehrte die Familie in die Niederlande zurück. Von ihren Verwandten haben nur wenige überlebt.


Michael Gelber besuchte im Anschluss zum ersten Mal in seinem Leben eine richtige Schule. Anfang der 1950er Jahre wanderte die Familie Gelber nach Israel aus. Michael Gelber machte einen Realschulabschluss. Darauffolgend besuchte er eine Fachschule, machte Abitur und leistete seinen Armeedienst in Israel von 1959 bis 1961. Danach folgte in den USA das Studium zum Textilingenieur, dann anschließend die Gründung und Leitung einer Garnfabrik gemeinsam mit seinem Vater, in der er als Betriebsdirektor tätig war. 1962 und 1965 bekam Michael Gelber seine Kinder, Iris und Itamar. Nach seiner Scheidung schloss er 1968 seine zweite Ehe und bekam 1969 seinen Sohn Doron. 1963 besuchte er dann seit seiner Befreiung zum ersten Mal wieder Deutschland und hatte dabei gemischte Gefühle. Er erinnerte sich an Deutsch als „geschriene Sprache“, da er die Wachleute in Bergen-Belsen nur schreiend erlebt hatte. Im Jahre 1967 folgte der berufliche Umzug nach Rotterdam, wo Herr Gelber bis heute lebt. Ab 1985 war Michael Gelber in der Lederindustrie tätig und baute ein Verkaufsbüro in Moskau auf. Dort zog er 1989 hin. Es folgte die Rückkehr in die Niederlande und die Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle für NS-Opfer in Leiden.


Seit 1975/76 kommt er regelmäßig zurück nach Bergen-Belsen. Auf die Frage eines Schülers, wie er sich fühlt, wenn er Bergen-Belsen besucht, antwortet er überraschend mit „relativ gut“. Generell sind Herrn Gelber Treffen mit anderen Überlebenden und das Gespräch mit ihnen wichtig, da ihn die Erinnerung nicht loslässt. Generell war während seinen Erzählungen die Stimmung im Raum ein bisschen angespannt und die Schüler haben aufmerksam und interessiert zugehört. Trotz der erschreckenden Erfahrungen, die Herr Gelber gemacht hat, wirkte er sehr positiv und sagte auch, dass er das Wort Angst nicht kenne. Er hatte immer ein Lächeln im Gesicht.


Wir sprechen vermutlich nicht nur für uns beide, wenn wir sagen, dass wir sehr dankbar sind, da solch eine Begegnung in ein paar Jahren vermutlich nicht mehr möglich sein wird. Herr Gelber ist jetzt mittlerweile auch schon 90 und war zu dem Zeitpunkt erst neun Jahre alt. Ein solches Gespräch mit einem Zeitzeugen ist also ein sehr großes Privileg.

 

Karl Harke & Joris Löschmann, 11b

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